Reminiszenz-Lehrgang – ein lehrreiches Wochenende (10/2015)

Am Feiertagswochenende 03./04. Oktober 2015 pilgerten Arnisbegeisterte aus Penzberg, Wernigerode, Königslutter und Braunschweig nach Leipzig in die Sporthalle der Bereitschaftspolizei. Grund hierfür war der Reminiszenz-Lehrgang mit Großmeister Wolfgang Schnur (10. DAN).

Am Samstag setzte der Großmeister die Schwerpunkte auf das genaue Ausführen von Techniken, deren Prinzipien sowie auf die dahinterstehende Philosophie. Hierbei assistierte ihm Torsten Zumpf (2. Dan) vom organisierenden Dojo Leipzig. Das Lehrgangsziel bestand darin, das Verständnis für Feinheiten zu fördern und zu erweitern. Vorwiegend wurde auf Wünsche der anwesenden Schüler eingegangen. Der Sonntag baute auf dem Gelernten vom Vortag auf. Die Leitung übernahm Torsten Zumpf. Im Fokus lagen Anyos und verschiedene Blocktechniken mit anschließender Entwaffnung.

An dieser Stelle möchte ich die objektive Berichterstattung enden lassen und in einen eher subjektiven Betrachtungswinkel wechseln. Ich gehöre zu den niedergraduierten Schülern und bin, wie einige meiner Leipziger Mitstreiter auch, am besagten Wochenende dem Großmeister das erste Mal begegnet. Demzufolge war ich nicht der Einzige, der aufgeregt und neugierig dieser besonderen Veranstaltung gespannt entgegenfieberte. Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass ich am Samstag gegen Lehrgangsende meine Prüfung zur "8. Klase" ablegen darf. Und dies beim Großmeister persönlich, was meine Aufregung logischerweise nicht minderte. Also bereitete ich mich mehr als üblich technisch, theoretisch und mental vor. Besonders beschäftigte ich mich mit dem Einhalten der Etikette und ich packte sogar meine Arnis-Garderobe penibel nach der MAMD-Faltvorschrift in meine Tasche (was ich ab jetzt immer machen werde). Zuletzt jagte unser Lehrer alle Leipziger Prüfungskandidaten noch einmal durch das komplette Programm, um letzte Fehler oder Unklarheiten zu beseitigen.

Um dem Großmeister nicht alleine in die Arme zu laufen, machte ich mich früher als notwendig auf den Weg zur Sporthalle. Mein Plan ging jedoch nicht wirklich auf. Direkt auf dem Parkplatz begegnete mir schon der Großmeister. Wir begrüßten uns kurz mit Händeschütteln. Mir war mit "Handgeben" plötzlich irgendetwas im Hinterkopf. Meine ersten Gedanken waren: "Hatte ich gegen irgendeine Etikette verstoßen und vielleicht sogar meinen Lehrer blamiert? Jetzt bloß schnell in die Sporthalle!"

In der Umkleide angekommen fiel mir auf, dass fast jeder seine Trainingskleidung nach Faltordnung schön gebügelt zusammengelegt hatte. Nun schnell noch bei den organisatorischen Vorbereitungen mitgeholfen und der Lehrgang begann.

In der Halle herrschte wie immer optimales Trainingswetter. Nach dem traditionellen Antreten eröffnete Großmeister Wolfgang Schnur den Lehrgang. Mir fiel jetzt erst auf, dass er relativ klein war. Irgendjemand hatte mir auch mal gesteckt, Größe darf man nicht mit Körperlänge verwechseln. Und dieser Jemand hatte Recht. Obwohl der Großmeister gesundheitlich angeschlagen war, konnte man seine Ausstrahlung, seine Stärke und den gegenseitigen Respekt deutlich im Raum spüren. Ich musste sofort an den großen "Jedi-Meister Yoda" denken, den mein Lehrer Torsten Zumpf gern und oft in seinen Trainingsstunden zitierte.

Nach der Erwärmung folgte der Hauptteil mit den üblich durchmischten Trainingspartnerwechseln. Ich übte Stockentwaffnungen mit anschließendem Konter, Banda y Banda, Rompida und die 1. Serie Doppelstock. Der Großmeister unterbrach gelegentlich die Übungen und gab Korrekturhinweise in Form von kurzen aussagekräftigen Erläuterungen bzw. demonstrierte weitere Techniken. Ab und zu ließ er dabei auch seinen witzigen Humor durchblicken. Neu für mich war die Benutzung des Stockes in Mittenhaltung. Diese Techniken mit anschließendem Gegenangriff wurden durch Großmeister Wolfgang so explosionsartig vorgeführt, dass man selbst im Abstand von 5m noch die Wucht fühlen konnte. Bei der Nachahmung begriff ich schnell, dass die einfach scheinenden Bewegungen sich überhaupt nicht so einfach umsetzen ließen.

Am Ende des Lehrgang-Tages bekam jeder vom Großmeister persönlich seine Teilnahmebestätigung in Form einer Urkunde übergeben. Eigentlich wäre an dieser Stelle Schluss und es ständen die erwarteten Prüfungen einiger Schüler, einschließlich mir, an. Doch die Verabschiedungsaufstellung wurde überraschend beibehalten. Nach einer kurzen ergreifenden Rede verkündete der GM, dass dies die offiziell letzte Veranstaltung dieser Art für ihn sein soll. Im Anschluss begann er Schüler aufzurufen und übergab ihnen urkundlich die Erhebung in die nächsthöhere Klase. Sichtlich erstaunt hielten bald viele der Teilnehmer ihre Dokumente in der Hand. Nachdem der GM den Reminiszenz-Lehrgang offiziell beendet hatte, blieben alle in der Aufstellungsordnung und gaben minutenlangen Beifall. Einigen standen, überwältigt von gemischten Gefühlen, Tränen in den Augen. Danach erfüllte Großmeister Schnur den Schülern den Wunsch und stand für Einzel- und Gruppenfotos zur Verfügung.

Nochmalig rief GM Wolfgang Schnur zum Antreten und eine weitere Überraschung folgte. Der GM übereichte Torsten Zumpf den 1. Dan im "Mano Mano".

Den Abend ließen wir dann gemeinsam im griechischen Restaurant "Alexandros" ausklingen. Dieser 3. Oktober 2015 wird mit Sicherheit allen in Erinnerung bleiben.

Am Sonntag pünktlich um 10 Uhr ging es weiter. Nach der Aufwärmung und einer kurzen Wiederholung der Techniken vom Samstag teilte Lehrgangsleiter Torsten Zumpf die Anwesenden in Gruppen auf, um "Anyos" zu üben. In meiner Gruppe bekam Manuel die Leitung zugewiesen, um uns die Abfolge der "Anyo Dalawa" beizubringen. Den Schrittalgorithmus hatte ich relativ schnell begriffen. Alle machen das Gleiche und doch nicht dasselbe, nichts ist wirklich richtig falsch. Aber irgendwie stellte sich bei mir verständliche Verwirrung ein. Anschließend versuchte Sven mir den groben Rohschliff zu verleihen. Ich sollte verstärkt auf meine Atmung achten, alles weich wie Wasser fließen lassen und das Denken in den Hintergrund verbannen sowie jede Bewegung mit Spaß einfach nur genießen. Dabei streichelte er sich, wie nach einem leckeren Essen, über seinen leichten Bauchansatz. Aufgrund seiner Größe, seiner ruhigen gemütlichen Gelassenheit und seiner Gestik erinnerte er mich sofort an "Balu den Bären". Man möge mir bitte die bildlichen Vergleiche aus dem Dschungelbuch verzeihen.

Im Anschluss übten wir Wickelentwaffnungen. Diese funktionierten super, allerdings fiel mir permanent der gegnerische Stock auf die Füße, was auf Dauer sehr schmerzhaft sein kann. An dieser Stelle möchte ich mich bei Max für die geduldige Hilfe bei der Abstellung meines Fehlers bedanken.

Zum Abschluss folgte lockeres "Eins-Eins". Beeindruckt hat mich hierbei besonders Olli, der mir ständig den Stock wickelentwaffnete. Dabei behauptete er überzeugend, dass er vor diesem Wochenende noch nie etwas von einer Wickelentwaffnung gehört habe.
Zwischendurch erklärte Torsten wieder einmal seine Fundament-Haus-Geschichte und verdeutlichte die Wichtigkeit der Beherrschung und das Üben der Grundtechniken. Diese Grundtechniken bilden das Fundament, auf dem das Haus, sprich erweiterte Techniken, stabil aufgebaut werden können. Das Gebäude kann dann in verschiedene Richtungen architektonisch gestaltet und weiterentwickelt werden. Ob Türme, an welchen Stellen auch immer, später in die Höhe ragen werden, bleibt dabei flexibel offen. Je öfter ich die Geschichte höre, desto mehr denke ich zu begreifen, was er uns damit beibringen will. Während ich mittlerweile glaube eine Stelle gefunden zu haben, an der ich jetzt mit Graben für das Fundament anfangen möchte, meinte so mancher noch auf der Suche nach dem Spaten zu sein. Ja Micha, da bin ich schon ein Stück weiter. Selbst unser Alex musste schmerzhaft lernen, dass selbst einfache Purzelbäume 15-fach hintereinander ausgeführt, nicht nur das Gleichgewicht stören, sondern auch, wenn man auf ein festes Fundament fällt, die eigene Brille zerstören.

Trotz dass mein Körper erledigt und meine Nevenbahnen im Gehirn verfitzt waren, stellte sich am Ende des Tages das paradoxe gute Gefühl ein, wirklich etwas gelernt zu haben.

Sicherlich ist bei den zahlreichen Inputs an diesem Wochenende vieles passiert, was ich nicht wahrgenommen bzw. nicht aufnehmen konnte. Fazit ist: Jeder hat etwas für sich mitgenommen. Damit meine ich allerdings nicht das Essen (Wiener, Kuchen, Kekse, Obst, Kartoffelsalat usw.) in den Pausen. Übrigens den restlichen Bananenberg wird Martina zu ökologisch unbedenklichem Wein weiterverarbeiten.

Die Lehrgänge haben mich nicht nur technisch weitergebracht, sondern überraschend auch meine innere Einstellung beeinflusst. Arnis ist viel, viel mehr, als ich bisher gedacht hatte. Es geht um weit mehr als nur um Kampftechnik, spaßigen Zeitvertreib oder einfach darum, den Alltag auszugleichen. Auch sind es die einfachen kleinen Dinge, die oft schwer wiegen und große Veränderungen bewirken können. Nicht immer nachdenken, sondern einfach mal fließen lassen. Nachdenken ist sehr wichtig, jedoch macht zu viel Denken zum falschen Zeitpunkt langsam. Der Geist versucht immer bestimmend die Oberhand zu gewinnen, muss jedoch mit dem Körper und der Seele in Einklang gelangen. Es ist wichtig, an seiner Einstellung und der Vervollkommnung des Charakters zu arbeiten. Ich höre immer noch die Worte des Großmeisters: "Üben, üben, üben – einfach machen, nicht quatschen." Übung macht halt den Meister – viel, viel mehr Übung logischerweise den Großmeister.

Zum Schluss möchte ich mich bei allen bedanken, die dieses Wochenende ermöglicht und fleißig mitgeholfen haben.

Einen weiteren Bericht zum Reminiszenzlehrgang könnt ihr hier nachlesen.


Jahr
2015
Autor des Textes
Andy Persdorf